Jan Arnošt Smoler
Die Lausitzer Serben erhielten das Christentum zuerst von den Slawen - 2
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Wir wollen zuerst den Ausdruck cyrkej (die Kirche) betrachten. Haben ihn die Wenden von den Slawen
oder von den Deutschen genommen? Es könnte wohl Mancher antworten “von den
Deutschen”, weil sich in der deutschen Sprache das Wort Kirche befindet, welches dem wendischen Wort cyrkej sehr ähnlich ist. Es ist nun allerdings wahr, dass beide ein
und dasselbe Wort sind, aber nur insofern, als sie beide vom griechischen Κυριακή
(Kyriaki) abstammen, ebenso wahr ist es aber auch, dass die Wenden den Ausdruck
cyrkej nur von den Slawen erhalten
haben können, denn bei anderen Slawen und besonders bei denen, wo das
Christentum zuerst Eingang fand und von wo aus es sich dann zu den übrigen
Slawen verbreitete, heißt Κυριακή eben cyrkej
(= cyrkew). Wenn übrigens der wendische Ausdruck cyrkej aus dem deutschen Wort Kirche
entstanden wäre, so würde er gewiss khěrka
heißen (heute kěrka, analog zu
kěrchow/Friedhof; J.N.); denn aus dem Wort Kaiser, das die Wenden von den Deutschen erhielten, haben sie nach
den Gesetzen ihrer Sprache die Form khěžor
(heute kejžor, J.N.) gebildet, so dass sie den Mitlaut k unversehrt stehen lassen mussten.
Und wie steht es weiter mit dem wichtigen kirchlichen Wort,
mit dem die Wenden den deutschen Ausdruck taufen
bezeichnen? Hat dieses irgendwie ein deutsches Aussehen? Nein, gewiss nicht
im Geringsten. Taufen heißt im
Wendischen křćić, die Taufe křćenica,
die Taufhandlung křćenje, das Tauffest křćizna oder křćizny, der Täufer
křćenik, und alle diese Ausdrücke entspringen aus der slawischen Wurzel krst, welche die selbe Bedeutung hat wie
das deutsche Wort Taufe. Wenn daher
die Wenden die heilige Zeremonie, welche im Deutschen Taufe heißt, mit einem eigentümlichen, nur bei Bezeichnung dieser
Zeremonie gebrauchten slawischen Wort
benennen, so kann es gewiss nicht anders sein, als dass diese Zeremonie bei
ihnen zuerst von Slawen ausgeübt wurde und dass sie daher das Christentum
zuerst von den Slawen erhalten haben müssen.
Das Buch, in welchem die kirchlichen Perikopen enthalten
sich und das man im Deutschen Evangelienbuch
nennt, heißt im Wendischen sćeńske
knihi, und die Perikope, welche man deutsch mit dem Wort Evangelium bezeichnet, nennt man
wendisch sćenje. Was ist das für ein
Wort? Es ist offenbar ein slawisches Wort, obwohl es vielleicht manchem
wendischen Leser nach Maßgabe seiner Sprachkenntnis dunkel genug erscheinen
mag. In der jetzt üblichen wendischen Sprache gebraucht man für den deutschen
Ausdruck ich lese das wendische Wort čitam. Diejenigen, welche die Sache
nicht verstehen, sehen den Gebrauch dieses Wortes als eine schreckliche Neuerung
an.¹ Aber das ist durchaus keine Neuerung, sondern vielmehr eine ziemliche
Altertümlichkeit. Es verhält sich damit nämlich folgendermaßen: Čitam ist prima persona singularis
praesentis et quidem verbi duratiri (erste
Person Singular Präsens des Verlaufsverbes; J.N.) und entspringt aus der
Form čtu, und dieses ist auch prima
persona singularis praesentis, sed verbi simplicis (erste Person Singular Präsens des einfachen Verbes), und sowohl čitam als auch čtu heißen deutsch: ich lese.
Čitam ergibt das nomen verbale (die Substantivierung; J.N.) čitanje, čtu aber čtjenje, und beide heißen im Deutschen das Lesen, oder die Vorlesung,
lateinisch lectio. Da sich aber nach
den Lautgesetzen der wendischen Sprache der Buchstabe t vor einem jotierten Vokal (hier
“je”; J.N.) stets in ć umwandeln
muss, so muss es nun nach den Regeln der wendischen Phonetik statt čtjenje allerdings čćenje heißen. Das ist aber für die jetzige wendische Zunge schwer
auszusprechen und man spricht und schreibt daher der leichteren Aussprache wegen
statt čćenje nur sćenje, was aber gerade dieselbe Bedeutung hat wie čitanje, nämlich lectio. Das Zeitwort čtu,
čitam ist aber ein urslawisches Wort und wenn die Slawen mit seiner
Ableitungsform sćenje/čćenje einen
wichtigen Teil des öffentlichen Gottesdienstes benannten und die Wenden ihn
auch genau so nennen, so zeugt auch das zweifellos dafür, dass das wendische
Volk das Christentum zuerst von den Slawen erhielt.
Dass das Christentum zuerst von slawischer Seite zu den
Wenden gelangte, dafür bürgt auch klar und deutlich der wendische Ausdruck křesćijan usw., denn in dieser Form wird
das deutsche Wort Christ bereits in
den ältesten slawischen Schriften genannt. Hätten die Wenden das Christentum
von den Deutschen erhalten, so würden sie diesen neuen Begriff sprachlich nach
der im deutsche Wort üblichen Phonetik gebildet haben und daher statt křesćijan
gewiss křisćijan sprechen.
In den an die Niederlausitz grenzenden wendischen Pfarrgemeinden und in
der Niederlausitz selbst heißt Fronleichnam – obwohl es dort nicht mehr
gefeiert wird, weil alles protestantisch ist – swjedźeń swjateho brošma, d.h. “das Fest der heiligen Hostie”. Bei
den Südserben heißt hostia, der Leib
Christi, fast ebenso, nämlich brašno
(brašno=Mehl; J.N.), und dies ist, obwohl es etwas anders klingt, weil es
nach der südserbischen Phonetik vokalisiert ist, dennoch genau dasselbe wie brošmo. Daher zeigt die gleiche,
übrigens für den Sprachforscher recht merkwürdige, Bedeutung des südserbischen brašno und des nordserbischen
(wendischen) brošmo, dass die
Lausitzer Wenden den Begriff und die Benennung des geweihten Brotes, und also
auch das Christentum selbst, von den Slawen erhielten.
¹ Smoler spielt auf den
Widerstand gegen die "Wiedereinführung" des slawischen Wortes
čitać für "lesen" im Sorbischen an. Üblicher war zu dieser
Zeit der Gebrauch des Germanismus lazować. Im 20. Jahrhundert setzte
sich schließlich das ursprüngliche slawische Wort durch.
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